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[REVIEW] Linux Audio-Konferenz 2007

lac2007

Berlin, 22–25 March 2007

SWR2 JetztMusik

Original transcript used for a broadcast on southern German radio SWR2 JetztMusik-Magazin on 26 March 2007. Redaktion: Lydia Jeschke. Published here with the kind permission of the author.

[English version]

[ Zuspiel: André Bartetzki — Reale Existenz! (2007) ]

Folkmar Hein: Ich bin also nicht einer derjenigen, der nun sagt, man hätte jetzt das Ziel erreicht, was unsere Vorväter ja schon in den 50er Jahren haben wollten. Sondern es ist eine andere Methode, mit der noch niemals richtig experimentiert werden konnte ….

Nach einer vierjährigen Residenz im Karlsruher ZKM fand die 5. Internationale Linux Audio-Konferenz an diesem Wochenende in Berlin statt. Gastgeber war der Fachbereich Audiokommunikation der Technischen Universität, der mit seinem Elektronischen Studio auf eine mehr als 50-jährige Tradition mit elektronischer Musik zurückblicken kann.

Die Linux Audio-Community vereint Institutionen, Programmierer, Toningenieure, Komponisten und Musiker, die mit dem Linux-Betriebssystem arbeiten. Dieses hat den nicht ganz unberechtigten Ruf, in Bezug auf Multimedia-Anwendungen konkurrierenden Betriebssystemen wie Mac OSX oder Windows deutlich unterlegen zu sein. Linux Audio versucht nun einerseits durch die Bündelung von Entwicklungsinitiativen diesem entgegenzuwirken, andererseits aber auch nach außen hin von der Vielzahl der Möglichkeiten zu überzeugen, die die Audiosoftware unter Linux inzwischen zu bieten hat.

coding group
Live Coding performance in the “Lichthof”. Photo: jef chippewa

Gerade die Offenheit, die den Erfolg von Linux ausmacht, erlaubt es Komponisten und Musikern eigene Ansätze unabhängig von den Vorgaben kommerzieller Programme für ihre Stücke und Projekte zu finden. In Vorträgen und Workshops wurden solche Lösungen neben wissenschaftlichen und technischen Fragestellungen auf der Linux Audio-Konferenz vorgestellt und diskutiert, begleitet von einem in diesem Jahr deutlich erweiterten musikalischen Angebot. In Koproduktion mit Veranstaltern und Institutionen wie dem Künstlerprogramm des DAAD, der MärzMusik oder dem Tesla präsentierten insgesamt vier Konzerte auf Linux-Basis realisierte elektronische Musik, komplementiert durch Klanginstallationen, Campusradio und Clubevents.

Mit einem pünktlich fertiggestellten Lautsprechersystem gigantischen Ausmaßes setzte das Elektronische Studio der Technischen Universität selbst den Höhepunkt der Konferenz und demonstrierte eindrucksvoll die Möglichkeiten offener Programmierung und Forschung: In einem ringsum an den Wänden des Hörsaals 104 verlaufenden Band sind 2730 Lautsprecher eingelassen, die über 840 Kanäle angesteuert werden. Das akustische Konzept dieser Anlage beruht auf der sogenannten Wellenfeldsynthese, die im Gegensatz zu herkömmlichen Surround-Systemen eine räumliche Platzierung von Klangereignissen unabhängig von der Position des Hörers ermöglicht. Folkmar Hein, langjähriger Leiter des Studios:

Also es geht im Grunde genommen ein bisschen auch um die Situation wie sie in der Natur ist, dass ich eben meinen Kopf beliebig bewegen kann und die Klangquellen, die bewegen sich natürlich nicht mit meinem Kopf mit, so, das ist ja das Problem, so und das hat man in der Wellenfeldsynthese genau erreicht. Sie erzeugen dort ja die natürlichen Wellen und deshalb ist ja vollkommen wurst, wo sie stehen: Der Eindruck ist der gleiche.

Die Forschungen des TU-Studios im Bereich der Wellenfeldsynthese gehen zurück auf das Jahr 2001: Seit der Edgar-Varese-Gastprofessur des Holländers Diemer de Vries experimentierte das Studio mit 24 in einer Reihe aufgestellten Lautsprechern. Die ebenfalls aus Holland stammende Diplomingenieurin Marije Baalman entwickelte dafür im Rahmen eines Doktorandenstipendiums eine Software auf OpenSource- und Linux-Basis, die sie nun mithilfe eines erweiterten Teams zur Ansteuerung des neuen Systems ausbaute.

Das Wellenfeldsynthese-System des Studios ist weltweit einmalig, sowohl hinsichtlich der Größe des zu beschallenden Raumes wie auch der Anzahl der Lautsprecher. Und es ist in der Tat eine verblüffende Erfahrung, um einen im Raum platzierten Klang herumgehen zu können, was im Moment allerdings nur im mehr oder weniger leeren Saal funktioniert und auch nicht an allen Positionen. Die Anlage wird so für die nächsten Jahre ein akustisches Forschungslaboratorium zur Umsetzung theoretischer Erkenntnisse in die Praxis. Doch gemäß der Tradition des TU-Studios geht es bei dem Projekt um mehr als rein wissenschaftliche Zwecke. Das Wellenfeldsynthese-System soll zu einem musikalischen Instrument werden:

Folkmar Hein: Dann ist die Vorstellung eben die, dass man dieses Wellenfeldsynthese-System hat, um mal ausloten, ob es künstlerisch interessant ist und ob es einem gelingt, eben diese Erscheinungsformen des Klangs zu erzeugen, nämlich von Tiefe, bedeutet: ein Klang ist nah bei mir, es hat auch eine mittlere Distanz und es hat auch eine weite Distanz.

Erste Versuche in diesem Bereich wurden auf der Konferenz vorgestellt: Vier Komponisten waren eingeladen, Stücke auf dem neuen System zu präsentieren. Sie hörten bereits Ausschnitte aus Andre Bartetzkis Komposition Reale Existenz!, die auf einem Vortrag des Österreichischen Physikers Erwin Schrödinger — einem der Pioniere der Quantenphysik — beruht. Hier zeigt sich — und das ist aus offensichtlichen Gründen im Rundfunk nicht übertragbar — die Überlegenheit der Wellenfeldsynthese gegenüber herkömmlichen Lautsprechersystemen, die keine klangliche Abbildung zwischen Lautsprecher und Hörer zulassen. Es zeigt sich aber auch, dass man dieses neue Instrument genauso lernen muss, wie jedes andere und dass sich die Erfahrungen mit anderen Surround-Systemen nicht ohne Weiteres auf die Arbeit mit der Wellenfeldsynthese übertragen lassen. So bleiben in Bartetzkis Stück die klanglichen Positionen doch sehr im Außenbereich und schlüssige Bewegungen durch den Raum vermitteln sich eher selten.

Hall
The Wave Field Synthesis system is mounted all along the grey strip circling the room (Technische Universität, Rm. H-104). Photo: Simon Schamijer, used with permission

Einen im Vergleich zu der State-of-the-Art-Technologie der Wellenfeldsynthese geradezu gegensätzlichen künstlerischen Ansatz verfolgt die spanische Gruppe Recursive Dog Collective, das die eng mit Linux verbundenen ideologischen Aspekte Free Software, Free Hardware und Free Culture thematisiert. Im Bereich von Hacker-Aktivismus und Generative Art zu Hause, baut und programmiert das Trio seine elektronischen Instrumente konsequenterweise selbst. Die dabei im Workshop vermittelte, eher abschreckende Haltung: Wir möchten keine gute Musik machen, sondern zeigen, was man in zwei Stunden vor der Aufführung zusammenlöten kann … erwies sich im Konzert im Instituto Cervantes als pures Understatement. Platziert zwischen zwei handwerklich höchstwertigen Mehrkanal-Tonbandkompositionen, die aber letztlich ganz in den Klischees elektronischer Musik verhaften blieben, überzeugte der LowTech-Ansatz durch seine musikantische Qualität: der Rezipient nimmt an einem essentiellen musikalischen Vorgang teil, der ihm sonst zumeist verschlossen bleibt: das vorsichtige, spannungsgeladene Herantasten an ein Instrument, das bei jeder unvorsichtigen Bewegung, bei jedem Zuviel abrupt sein Verhalten ändern und klanglich explodieren kann.

Der Titel der Improvisation Recursive Door führt zurück auf den 1954 erschienenen Essay „The Doors of Perception” [Die Pforten der Wahrnehmung] von Aldous Huxley. Darin geht der Autor davon aus, dass sämtliche Erinnerungen eines Menschen im Gehirn gespeichert sind und ein Schutzmechanismus den Zugriff darauf und so manch andere äußere Wahrnehmung verhindert. Von seiner These, dass diese Filterfunktion durch Drogen ausgeschaltet werden könne, distanzierte er sich in den 1960er Jahren. Das Recursive Dog Collective versteht seine generativ erzeugte und durch die selbstgebauten Instrumente kontrollierte Musik als künstlerische Analogie zu den erweiterten Wahrnehmungen, wie sie Huxley beschreibt und analysiert.

[ Zuspiel: Recursive Dog Collective — Recursive Door ]

recursive_dog
Copyleft[CC]Recursive Dog 2007

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See the author’s website.

Recursive Dog Collective

If the doors of perception were cleansed everything would appear to man as it is, infinite.
—William Blake

RecursiveDoor is an experimental sound experience based on Aldous Huxley’s book, The Doors of Perception, inspired by Blake’s words. Combining a free open source environment and open hardware “home-made” interfaces, the collective develops alternative physical and conceptual interfaces around the concept of Creative Commons. Their interests “dance” around electronic prototypes, generative sound and video, physical interfaces and sensor-controlled installation.

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LAC 2007 — 5th International Linux Audio Conference
Studio der TU (Technische Universität) Berlin
Marije Baalman’s WFS project
Andre Bartetzki

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